Die aktuellen Reformversuche zur staatlichen Pflegeversicherung bestätigten die schon vor ihrer Einführung im Jahre 1995 vorgetragene Warnung der Ökonomen, die neue Zwangsversicherung werde unabwendbar das gleiche Schicksal erleiden, dasden anderen staatlichen Sozialversicherungen bevorsteht: das Ende ihrerFinanzierbarkeit nach dem Umlageverfahren. Die Konstrukteure der Pflegeversicherung hatten nichts aus dem fundamentalen Fehler der Rentenversicherung gelernt, als im Jahre 1957 das bestehende Kapitaldeckungsverfahren in ein Umlageverfahren umgewandelt wurde. Schon damals warten die Ökonomen vor möglichen Generationenproblemen. Derseinerzeitige deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer wischte jedoch diegleichlautenden Bedenken seines Wirtschaftsministers Ludwig Erhard mit der flapsigen Bemerkung hinweg: „Kinder kriegen die Leute sowieso.“
Die anschließende demographische Entwicklung mit einer schrumpfenden Bevölkerung widerlegt diese Theorie. Die sich abzeichnende Überbelastung der beitragszahlenden Generationen wird zudem durch die Ausweitung der Leistungen verschärft. Aktuell wird im Rahmen des staatlichen Rentensystems die „Rente mit 63“ angestrebt. Damit wird der Kreis der Leistungsempfänger, der sich durch die zunehmende Lebenserwartung der Rentner ohnedies schon stark vergrößert, noch weiter ausgeweitet. Gleichzeitig schrumpft dadurch zusätzlich die Anzahl der Beitragszahler, die durch den Geburtenrückgang bereits dezimiert wird. Der zwischenzeitlich eingeschlagene Reformweg einer kontinuierlichen Verlängerung der Lebensarbeitszeit wird nun abrupt verlassen und in die Gegenrichtung umgeleitet.
Bei der Pflegeversicherung zeichnen sich gleichartige Fehlentscheidungen ab.Identisch ist die Problematik, die aus der demographischen Entwicklung entsteht. Der Kreis der Pflegebedürftigen nimmt durch die zunehmende Lebenserwartung zu, die Anzahl der Pflegejahre der Menschen steigt proportional zu der Anzahl der Rentenjahre. Gleichzeitig verringert sich durch den Geburtenrückgang die Anzahl der Beitragszahler zur Renten- wie zur Pflegeversicherung. Im reinen Umlageverfahren bestehen dann nur noch die beiden Stellschrauben, die Beitragssätze zu erhöhen oder die Leistungssätze (Renten- bzw. Pflegesätze) zu verringern. Beides ist politisch „schwer verkäuflich“. Die Leistungsempfänger wehren sich gegen Leistungskürzungen; die Beitragspflichtigen gegen ihre Höherbelastung.
Die Lesitungen sollen nach den Plänen der Bundesregierung zur Reform der Pflegestufen sogar ausgeweitet werden. Werden zu der bereits bestehenden Unterteilung in drei Stufen noch zwei Zwischenschritte eingeführt, dann bedeutet dies automatisch eine Ausweitung des Leistungsumfangs. Zudem versprechen die Reformer eine qualitative Ausweitung durch die geplante Berücksichtigung neuer Pflegegründe wie Demenzerkrankungen. Befeuert werden diese Leistungsausweitungspläne durch die aktuellen Überschüsse in der Pflegeversicherung von 600 Millionen Euro. Dabei wird schlicht vergessen, dass diese 2005 sogar über 3,4 Milliarden betrugen. Ein Minus, wie es 2013 in den anderen Sozialversicherungskassen zu verzeichnen war, ist auch hier zu erwarten. Dann wird dieses Umverteilungsdefizit wie bei den anderen nur noch durch Zuschüsse aus Steuermitteln ausgleichbar sein.
Wiederholt werden Reformrufe laut, die gesetzliche Pflegeversicherung langfristig aufein Kapitaldeckungsverfahren umzustellen. Wie aber sollen die bisher eingezahltenBeiträge angesichts der geringen Vermögensreserven der Pflegeversicherung aufgerechnet werden? Da wird zwangsläufig eine bescheidene Rendite der Sparleistungen herauskommen, die anders besser angelegt gewesen wären. Die Empfehlung, private Zusatzversicherungen zur drohenden Pflege abzuschließen, ist logisch richtig, führt aber ebenso zwingend zu einer politisch inkriminiertenMehrklassengesellschaft bei der späteren Pflege. Umgekehrt steigt der Anspruch der Personen, die nur geringe Beiträge leisten, auf 1.-Klasse-Pflege, möglichst ohne zusätzliche finanzielle Belastung. Denn immer mehr Pflegebedürftige werden aufgrund ihrer Zuzahlungspflicht zu Sozialhilfefällen.
In früheren Zeiten, vor der Einführung der staatlichen Pflegeversicherung, lag die Finanzierung allein in der Verantwortung der Betroffenen. Dazu zählten bei fehlender Eigenvorsorge die Nachkommen. Das betraf aber nicht nur die Finanzierung einer Pflegekraft, sondern in der Regel auch die Pflegehandlung selbst. Auch heute steht der Wunsch, durch die eigenen Kinder gepflegt zu werden, vielfach an erster Stelle. Allerdings bestehen immer häufiger keine Nachkommen. Dann müssen Pflegekräfte bezahlt und vor allem gefunden werden. Der Geburtenrückgang wirkt sich damit doppelt aus. Heute mildern ausländische Pflegekräfte den Personalnotstand, jedoch zu zunehmenden Löhnen, mit sinkender Qualifikation und nicht in vollständigbenötigter Anzahl. Die Zunahme dieser negativen Tendenzen ist absehbar.
Selbst in den Fällen, in denen die Pflegeleistung durch Angehörige erbracht werden kann, zeichnet sich eine belastende Problematik ab. Vielfach ist die Pflege eine Vollzeitbeschäftigung, die eine Tätigkeit im Erwerbsleben nicht (mehr) zulässt. Während früher die Frauen nicht nur den Haushalt führten und die Kinder betreuten, sondern auch für die Altenpflege zuständig waren, schmäht das heutige als modern propagierte Bild der emanzipierten Frau dieses Hausfrauendasein. Die hohe Wohlfahrtsschöpfung der Hausfrau geht damit verloren. Eine so umgeformte Gesellschaft verarmt. Gerade bei den Pflegeleistungen erweist es sich, dass Geld allein, von wem es auch stammt, nicht weiterhilft. Nur der Mensch kann den Menschen pflegen. Auch noch so wohlmeinende staatliche Hilfskonstruktionen helfen letztlich nicht vollständig. So bleibt das Risiko Pflegefall weiterhin ein Problem, dass am Ende nur familienspezifisch gelöst werden kann.