Dass die EU-Kommission die rechtsgerichtete ungarische Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban aufgrund weitreichender Verfassungsänderungen scharf kritisiert, war klar. "Diese Änderungen werfen Bedenken auf bezüglich des Respekts für das Rechtsstaatsprinzip, für das EU-Recht und die Standards des Europarats", ließ EU-Kommissionschef José Manuel Barroso die europäische Öffentlichkeit wissen. Verfassungsexperten des Europarats und der EU-Kommission würden nun die beschlossenen Gesetzes-Novellierungen in Ungarn genauer prüfen. Auch der deutsche Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) forderte die "Einhaltung europäischer Grundwerte". Doch Ungarn steht standfest im Wertekanon der christlich-abendländischen Kultur.
Die vom ungarischen Parlament verabschiedete Novelle implementiert unter anderem eine Beschneidung der Befugnisse des Verfassungsgerichts. Damit könnte die Regierung künftig in die Tätigkeit der unabhängigen Justiz eingreifen. Für die Vorlage stimmten die 265 Abgeordneten der Regierungspartei Fidesz (Bund Junger Demokraten). Das entsprach der nötigen Zweidrittelmehrheit. Elf Abgeordnete stimmten dagegen, 33 weitere enthielten sich der Stimme. Die oppositionellen Ungarischen Sozialisten (MSZP) boykottierten das Votum. Die Verfassungsänderungen hatten schon im Vorfeld wegen ihrer möglicherweise demokratieschädigenden Stoßrichtung in Ungarn für Proteste und Besorgnis im Ausland gesorgt.
Die 4. Verfassungsnovelle der Republik Ungarn ergänzt das erst seit Anfang 2012 geltende neue Grundgesetz. Unter anderem sieht sie vor, dass sich das Verfassungsgericht künftig nicht mehr auf seine Spruchpraxis aus der Zeit vor Inkrafttreten der neuen Verfassung stützen darf. Kritiker befürchten eine Marginalisierung des obersten Gerichts. Auch Bestimmungen werden kritisiert, die Gesetze doch noch in Verfassungsrang heben, welche zuvor vom Verfassungsgericht gekippt wurden. Darunter fallen die willkürliche Zuteilung des Kirchenstatus durch die große Regierungsmehrheit im Parlament und das Verbot von Wahlwerbung im kommerziellen Fernsehen.
Tatsächlich kann man einige Punkte der ungarischen Politik kritisieren. Das sollte unter Freunden innerhalb Europas möglich sein. Doch sollte man beim Blick auf Ungarn nicht vergessen, dass es tatsächlich ökonomische Schwierigkeiten sind, die die Regierung von Viktor Orban belasten und weniger staatsrechtliche Aspekte. "Ungarn hat keine Sparkassen- oder Raiffeisenkassenstruktur. Das ist für die Kreditversorgung der ungarischen Volkswirtschaft ein erheblicher Nachteil, verglichen mit den Möglichkeiten in Deutschland und in Österreich", erklärt Dr. Jozsef Czukor gegenüber der Redaktion der Alpe Nordsee-Verlagsgruppe.